Ein Leben fließt – Leseprobe

Die in diesem Büchlein vorliegenden Texte sind in den Jahren 1960 bis etwa 1990 entstanden. Sie sind zeitlos und kaum chronologisch geordnet.

Frühjahr

Modrigbraune Wiesen,
Schnee von Schmutz bedeckt,
kahle Äste grüßen zitternd
wintermüde Frühjahrswelt.

Pfeifend streicht’s durch Fensterritzen,
klappernd braust es übers Dach,
kleine Wellen steh’n in Pfützen
auf der Straße fließt ein Bach.

Große Wolkenhaufen
unten grau und oben weiß,
suchen wegzulaufen,
bis sie der Sturm zerreißt.

Regentropfen peitschen
Fenstern ins Gesicht,
durch Wolkenlöcher gleitend
strahlt ein Sonnenlicht.

Da hüpfen Zweige munter
am Stamme auf und ab,
sieh an, die Welt wird bunter,
sobald sie Sonne hat.

Und will Dir alles grau erscheinen
und glaubst Du auch, Du schaffst es nicht
und wär’ die ganze Welt zum Weinen
das ändert sich - bei gutem Licht.

Unzeitgemäße Kommunikation

In einer Welt
die voll Geräuschen,
um nicht zu sagen:
meistens Lärm,
ist's leicht,
sich drüberweg
zu täuschen,
daß wir
einander nicht verstehen.

An starken
Außenreiz gewöhnt
in allen Lebenslagen
erreicht uns nur noch
was laut tönt,
was leise ist
drückt uns
im Magen.

Dabei sind‘s grad
die leisen Dinge,
die das Wichtigste
oft zeigen können.
Zum Beispiel beim
Versuch –
ein Schweigen
zu erkennen.

Denn Schweigen
spricht
auf seine Weise,
durch Körperhaltung
oder Blick – doch häufig
spricht‘s auch
wellenweise
von mir zu Dir
und dann
zurück.
So schweigt
es wohl
im großen Lärm
ganz mannigfach umher!

Erwartungsvoll
und zornig schweigt‘s,
entsetzt, verletzt
und auch vor Glück,
ängstlich, liebend
und entrückt,
betroffen, staunend
oder strafend,
entzückt, beleidigt,
schüchtern, schlafend,
belustigt, lauschend
und versunken,
wartend, gelangweilt
und betrunken,
überlegen, stolz
sowie verachtend,
zögernd, betrachtend,
grantig sehr –
es gibt noch
manches Schweigen mehr!

Von all
den Schweigen,
die es gibt,
ist jenes wohl das Größte –
das Schweigen,
das kein Wort erfaßt
und doch verstanden wird
von einem Wesen,
das die gleiche
"Sprache" hat.

Hübsch verpackt

Da läufst Du nun
ganz frisch dem Modeblatt entstiegen,
hast den ganzen Tag zu tun
Dich zurecht zu schniegeln

Tasche, Schuhe, Hut und Mantel
sind aufeinander abgestimmt.
Du läufst nicht nur, o nein, Du wandelst
dezent, doch raffiniert geschminkt.

Wer nach Deiner Meinung etwas taugt
muß gut gekleidet sein
und geistig völlig ausgestaubt,
denn das ist heute fein.

Du redest mariniert und sehr bestimmt,
Dein Lächeln ist gekonnt und fad,
Deine Meinung ist Publicity getrimmt,
Du bist zwar schön, doch viel zu glatt.

Niemals bist Du ernst und still
und wenn, dann aus Berechnung bloß,
ich denke mir Dein Inneres in Tüll
grell gefärbt und nicht sehr groß.

Zu blenden ist heut' Lebensziel,
drum zeigst Du dauernd, was Du hast,
Leut' wie Dich, gibt's viel zu viel
als hübsch verpackte Hohlkopfmast.

Mutter Courage und ihre schlafenden Kinder im 20. Jahrhundert

Mutter Marktwirtschaft ist couragiert,
denn ungeniert macht sie Geschäfte,
auch wenn es über alle Kräfte geht,
die diesem Erdball zur Verfügung steh’n.

Schlaft gut ihr Kinder dieser Frau.
Träumt weiter euren Wahnsinnstraum.
Gift, Atomraketen, Müll schlafen auch, und sind noch still

Es schläft auch noch – der große Tod
verkleidet wie ein Clown.
Zum Auftritt für die Wahnsinns "show"
wird er demnächst gebraucht.

Die Erde wird entblößt zum Lustobjekt,
Mutter Courage hat ihr Geschäft
über die ganze Welt erstreckt!!

Schon wird die Luft zum Atmen knapp
der Hals wird zugedrückt
doch eine Mutter Marktwirtschaft
bleibt so lang blind –
bis sie ihre Kinder ganz erstickt.

Schwere Last

Wenn Gespräche
nur noch Worte sind,
die den Mund verlassen,
aufgebläht und bunt
und hohl wie Seifenblasen,
wenn Wort für Wort
beim Hinhör'n schon zerplatzt
und Du das alles
nicht ertragen kannst –

Wenn Du
die Umwelt wie durch Milchglas
nur noch siehst
und müde bist
von dem Versuch,
die Tiefe jener Menschen
zu erfassen,
die jeweils bei Dir stehn –

Wenn die Gefühle
auf der Stelle treten
in einem uferlosen Sumpf,
und die Gedanken
ungedacht verwehn
und als grauer Dunst
Dir aufs Gemüt sich legen –

Dann ist
der Lebensfaden
fast schon abgerissen,
dann droht die
Seele zu ersticken,
dann ist die Leere
eine schwere
fast untragbare
LAST!

Beerdigung

Du bist der Mittelpunkt
der Kreise,
die sich nun wellenweise
in Deinen „Freunden“ verbreiten.

Dein Tod
war der Stein,
der beim Inswassergleiten
manch glatte seelische Oberfläche
in Bewegung versetzte.

Bald werden die Wogen
sich wieder Glätten,
als sei nichts gescheh‘n.

Man kann an den Kreisen
nicht ihre Tiefe ermessen
und bei manchem
Gewässer
so schwer dessen Grund
erspähn!

Nicht Dein Name

Nicht Dein Name
ist eingegraben
Dein 'Sein',
ist in mir.
Du bist
nicht Dein Name
Du hattest
ihn nur.

Du bist die Liebe
Dein Blick
Dein Lachen –
und Dein Geschick
andere glücklich
zu machen!

Du bist Dein Geruch
und Dein Geschmack
Deine Sorgen
und Ängste
Dein Humor
und Deine eigenen Gesetze.

Blüten im Wind,
die in mir wurzeln
sind oberflächlich
gestorben
doch ständig
fühl ich
in einsamen Stunden,
daß wir durch diese Wurzeln
untrennbar
verbunden sind.
Nichts –
nichts ist wirklich verloren.

Die Brücke

Zwei Fische
steh’n –
gegen den Strom –
als wollten
sie laichen.

Wir beobachten
sie schon
ein Weilchen
von der Brücke
in der Abendschwüle
eines Sommertags –
und ich fühle –

wie beim Hinunterschauen
in der Stille
behutsam –
wir eine Brücke
von Mensch zu Mensch
uns bauen!

Erholungstag

Es schlägt
die Seele Purzelbäume
und fegt
die grauen Schleier fort.

Ein Tag,
von dem man oft schon
träumte,
liegt über unsrem
kleinen Ort.

Es singt das Herz
und jubelt –
mit den Vögeln im Konzert!

Sing
mein Herz nur fröhlich
Deine Frühlingslieder
so lang und gut
Du es vermagst.

Du weißt bereits,
daß bald schon wieder
andre Zeiten
diesen Freudentanz
der Seele
dämpfen werden.

Auf daß Du dann
gestärkt
neue Schwierigkeiten
Deines Lebens
glücklich
überstehen kannst.