Damals in Kaflunk: Tagebuch einer abenteuerlichen Suche nach Stille in den Wäldern von Maine/USA

Leseprobe

Prolog

Die Zeitungsartikel waren wieder einmal deprimierend. Hier Krieg, dort Betrug – und Politiker, die anscheinend zum Werkzeug der Großindustrie geworden sind – oder zumindest nichts gegen deren Mächtigkeit mehr ausrichten können. Kriminalität, und im Fernsehen zu vertretbaren Zeiten nur seichte Shows, simple Spielfilme, Krimis oder politische Magazine – Themen: siehe oben.

Das Telefon läutete heute schon bestimmt zehnmal, immer liebe Freunde, aber immer auch nach den Gesprächen ein Nachhall in mir – und folglich eine Blockade für das, was gerade in mir oder um mich war.

Autos fahren am Haus vorbei, Staub hinter sich aufwirbelnd. Der Hund bellt jedes Mal sehr aufgeregt.

Musik tönt aus den Zimmern der Söhne. In meinen Ohren klingt sie oft nur wie Lärm. Barbara erzählte, dass sie sich über »Soundso« geärgert habe. Im Reitverein streiten sich die Geister ob dieses oder jenes getan werden muss, und das Schlimmste an der Sache, sie sind sich Gram,wenn die Meinung der anderen überwiegt.Jeder glaubt, einzig er oder sie allein wisse, wo der Weg lang geht und was richtig sei.

Ich drehe die Ölzentralheizung ein wenig herauf, es ist wieder kälter geworden heute, nehme eine heiße Dusche, und gehe ins Bett.

Man müsste all dem einmal entfliehen können. Man müsste wieder zu den »basics of life« zurück kommen können, Ruhe und Abstand zu allem bekommen.

Ich denke an meinen Bruder Bernd und seine Hütte in Maine, aus der er mir so oft schon geschrieben hat.

Ob ich dort auch einmal wohnen könnte?

»Wenn Du in Winterurlaub fahren willst, dann komm nach Vermont zu uns. Die Hütte in Maine eignet sich nicht dafür, das wäre verrückt« schrieb er mir, nachdem ich ihn fragte, ob ich nicht ein paar Wochen in seiner Hütte verbringen dürfe.

»Was ist verrückt daran« frage ich im Antwortbrief« ist sie undicht? Du hast doch auch etliche Zeit dort verbracht!«

»Ja aber immer nur ein paar Tage, und vorwiegend im Sommer. Dicht ist sie wohl, aber der Ofen funktioniert nicht mehr sehr gut. Es ist eben einfach verrückt, dort sechs Wochen am Stück zu verbringen. Im März ist oft noch tiefer Winter!«

Und tiefen Winter wollte ich!

Wie immer waren verschiedene Gründe der endgültige Anstoß zur Idee, einige Wochen dort alleine in den Bergen, noch dazu teilweise im Winter zu verbringen.

Mein Hauptwunsch seit langem: Ich wollte einmal wirklich vollkommene Stille erleben und am stillsten ist es im Winter, wenn keine Blätter rauschen, keine Vögel singen, wenn kurzum das Leben erstarrt ist.

Außerdem wollte ich herausfinden, wie es ist, wenn man wirklich alleine lebt, abseits von Nachbarn, ohne Elektrizität, Gas, Telefon, ohne »Konservenmusik«, ohne fließend Wasser, mit einem »Outhouse« statt Toilette mit geheiztem Badezimmer.

Abspecken wollte ich auch, und zwar auf die natürlichste Weise, die es gibt: Wenig essen und körperlich arbeiten. Und zuletzt hatte ich mir vorgestellt, wie schön es sein müsste, nach der Stille des Winters, das Erwachen der Töne und Geräusche zu erleben.

Ich war zehn Jahre zuvor schon einmal in dieser Gegend. Es war damals gerade Frühling, und seither liebe ich dieses Land. Eine Art Heimweh kam also dazu.

Gründe genug es zu wagen – trotz der Warnungen!

Also flog ich. Erst nach Vermont, wo ich ein paar Tage bei Bernd und seiner Familie verbrachte, um mich ein bisschen vorher einzuleben, bis ich dann von ihm zum »Camp Kaflunk« gebracht wurde.

Und hier bin ich nun!

Aus dem Tagebuch:

8. März

Zwei Nächte und zwei Tage tobte nun der Sturm. Wenige Minuten der Ruhe wurden dann als Grabesstille empfunden, oder besser noch, wie die Ruhe vor einem noch gefährlicheren Orkan.

Die erste Zeit brachte dieser Sturm Schnee, dann Frost.

Heute schon um Mitternacht kroch die Kälte wieder in mein Bett, obwohl ich vorsorglich zwei Decken aufgelegt hatte. Zwei Strumpfhosen übereinander und eine Thermohose, langärmeliges Seidenunterhemd, T-Shirt, Baumwollrolli, Pulli und Daunenweste hatte ich bereits an nicht zu vergessen die Pudelmütze auf dem Kopf. Nun musste ich aufstehen, und mir die dicke gefütterte Pilotenüberhose anziehen. Daunenärmel wieder über die bereits doppelt besockten Füße gezogen – und es wurde wieder gemütlich im Bett.

Als ich aufstand stellte ich fest, dass alles Flüssige tief gefroren war. Nicht nur mit einer Eisschicht bedeckt wie gestern, sondern zu festen Eisbrocken erstarrt.

Ein Blick aufs Thermometer zeigte: – 10°C im Haus, kein Wunder also!

Schnell Feuer gemacht. Leider ist das zu Anfang, wenn der Ofen noch kalt ist, eine entsetzlich rauchige Angelegenheit. Diesmal kommen die Sturmböen hinzu. Jedes mal wenn so eine Sturmböe über die Hütte fegt, spuckt der Ofen in dicken Wolken den Rauch in die Hütte hinein.